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Überblick


Fachtagung: Erich Mühsam in Meiningen.

Ein historischer Überblick zum Anarchosyndikalismus in Thüringen: Die Bakuninhütte und ihr soziokultureller Hintergrund.

Tagungsprogramm, 11.-14-06.2015

Donnerstag, 11.6.2015

Freitag, 12.6.2015

Samstag, 13.6.2015

Sonntag, 14.6.2015


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Referats- und Referent_innenübersicht


Anarchosyndikalismus in Deutschland – eine freiheitliche Tradition der Arbeiter- und Arbeiterinnenbewegung (Dr. Hartmut Rübner – Vortrag)

Nach dem Ersten Weltkrieg formierte sich der Anarchosyndikalismus im Rahmen der Freien Arbeiter-Union Deutschlands (FAUD) und trat – zwischen 1919 und 1922/23 – in einigen Regionen des Landes als Massenbewegung auf. Ein starker Mitgliederverlust setzte jedoch bereits nach dem Ende der Unruhen seit der Novemberrevolution ein und verstärkte sich seit der Inflation. Zwar scheiterte die FAUD an ihrem hohen Anspruch, eine sozialrevolutionäre Klassenkampforganisation zu sein, nicht jedoch als Kulturbewegung. Dies zeigte nicht nur ihre rege Verlagstätigkeit, ihre umfangreiche Zeitschriftenproduktion und Propaganda, sondern auch die Mitarbeit vieler Anarchosyndikalisten in den zahlreichen Kulturverbänden. Besonders aktiv waren sie z. B. bei den Freidenkern oder den Sexualreformern. Auch betrieben Anarchosyndikalisten örtliche Produktions-, Wohn- und Konsumgenossenschaften. Die Verflechtung in der kulturellen Arbeiterbewegung verhinderte, daß die FAUD die sektiererischen Formen anarchistischer Debattierzirkel annahm. Sie blieb bis 1933 eine kleine, in die gesellschaftlichen Auseinandersetzungen eingreifende Organisation am linken Rand der Arbeiterbewegung, deren Mitglieder sich sehr stark mit den Zielen eines freiheitlichen Sozialismus identifizierten.

Dr. Hartmut Rübner, Politikwissenschaftler. Research Fellow der Stiftung für Sozialgeschichte des 20. Jahrhunderts in Bremen. Angehöriger des Redaktionskreises der Zeitschrift „Sozial.Geschichte Online.“ Veröffentlichungen zur Geschichte der sozialen Bewegungen, insbesondere des Anarchosyndikalismus und der Neuen Linken nach 1968. Zuletzt publiziert: "Die Solidarität organisieren". Konzepte, Praxis und Resonanz linker Bewegung in Westdeutschland nach 1968, Berlin 2012.


`...bis die Bestie Kapitalismus niedergerungen und der Moloch Staat zertrümmert ist.´ – Der erste Prozeß des Volksgerichtshofs gegen die Freie Arbeiter-Union Deutschlands (FAUD) in Darmstadt 1936. (Dr. Siegbert Wolf – Vortrag)

Der Vortrag behandelt schwerpunktmäßig den anarchosyndikalistischen Widerstand gegen das NS-Regime und fokussiert auf den bedeutenden Prozess gegen sieben widerständige AnarchosyndikalistInnen Südwestdeutschlands (Frankfurt am Main, Ludwigshafen, Mannheim, Offenbach/M.) im Sommer 1936 vor dem berüchtigten Volksgerichtshof in Darmstadt. Es war zugleich der erste Prozess, den der Volksgerichtshof gegen AnarchosyndikalistInnen außerhalb Berlins führte. Der Vortrag zeichnet nicht nur den Verlauf des Prozesses, sondern auch die den Angeklagten zur Last gelegten Aktivitäten in allen Einzelheiten nach, so dass ein detaillierter Einblick in die illegalen Organisationsstrukturen sowie die seinerzeit inhaltlich vertretenen Positionen möglich wird.

Dr. phil. Siegbert Wolf, geb. 1954, , Historiker und Publizist in Frankfurt am Main. Zahlreiche Bücher u.a. über Gustav Landauer, Martin Buber, Hannah Arendt, Jean Améry sowie zur Frankfurter Stadtgeschichte: Exemplarisch seien hier die „Ausgewählten Schriften“ Gustav Landauers im Verlag „Edition AV“ (Lich/Hessen) genannt.


Generalstreik das Leben lang. Gregor Gog und die Bruderschaft der Vagabunden.(Klaus Trappmann – Vortrag und Filmclips)

Es werden verschiedene Clips aus dem Film "Landstraße, Kunden, Vagabunden" von Klaus Trappmann, sowie wenig bekannte Fotos eingespielt und vom Referenten erläutert und ergänzt. Das breite Spektrum dieser Bewegung und die unterschiedlichen Biographien der Teilnehmer des "Vagabundenkongresses" 1929 in Stuttgart sollen verdeutlicht werden.

Klaus Trappmann, geb. 1948 in Wuppertal. Lebt in Berlin als Lehrer an der Schule für Erwachsenenbildung, Autor und Realisator von Ausstellungen, Radio- und Filmdokumentationen. Hrsg. von „Landstraße, Kunden, Vagabunden“ 1980 im gerhardt verlag und „Wohnsitz: Nirgendwo“ 1982 im Verlag Frölich & Kaufmann. Autor / Realisator der Filmdokumentation „Landstraße, Kunden, Vagabunden“ in Zusammenarbeit mit Hagen Müller-Stahl, SFB 1982 und „Tango. Ein trauriger Gedanke, den man tanzen kann“. SFB 1984. Hrsg. von „Transit Berlin. Griechenland und Jugoslawien in Berlin“. Künstlerhaus Bethanien 1987


Vom Acker zum Ferien- & Schulungsheim – Ein Einblick in die Geschichte der Bakuninhütte und ihren soziokulturellen Hintergrund. (Kai Richarz, Vortrag)

Der Vortrag bietet einen Überblick über die wechselvolle Geschichte der Bakuninhütte von der Novemberrevolution bis zur Gegenwart. Der Schwerpunkt liegt dabei auf der Phase der syndikalistischen Erbauung bis 1933. Die Veränderung des Grundstücks, vom Acker zum Ferien- & Schulungsheim, wird zur Entwicklung der syndikalistischen Bewegung auf Reichsebene in Beziehung gesetzt. Anhand der Bezüge zu Erich Mühsam wird die Einbettung der Lokalstruktur in diverse überregionale Zusammenhänge beleuchtet.
Gelegenheit zur inhaltlichen Vertiefung der Hüttengeschichte wird der anschließende geführte Besuch der Ausstellung zum Leben und Wirken Erich Mühsams und zur Bakuninhütte im Museum Schloss Elisabethenburg bieten.

Kai Richarz, geb. 1984, stammt aus Südthüringen und studiert gegenwärtig hauptsächlich Geschichte, aber auch Sozial- und Kulturanthropologie sowie Philosophie an der Freien Universität und der Humboldt Universität Berlin. Er forscht und schreibt zu antifaschistischen Bewegungen insbesondere zum Anarchismus / Anarcho-syndikalismus und der Bakuninhütte. Er ist aktiv im Wanderverein Bakuninhütte e.V., dort in der AG Denkmal und der AG Ausstellung & Tagung. Zum Thema erschien von ihm: Die Geschichte der Bakuninhütte. In: Jahrbuch 2012 des Hennebergisch-Fränkischen Geschichtsvereins. Band 27, Kloster Veßra / Meiningen / Münnerstadt 2012.


„Den Tagen, die kommen, gewachsen zu sein“ - Die Lebensgeschichte Zenzl Mühsams in Briefen und Dokumenten (Uschi Otten – Vortrag)

Der Name des jüdischen Dichters und anarchistischen Revolutionärs Erich Mühsam mag manchen im Gedächtnis sein, vielleicht auch sein Ende in einem deutschen KZ. Kaum bekannt aber ist, in welchem Maße sein Leben und Wirken mit dem seiner Frau Zenzl verbunden ist, der wir auch die Überlieferung seiner Schriften verdanken.
Dabei war die bayerische Bauerntochter aus der Holledau, die 1915 den jüdischen Apothekersohn zum Gatten nahm, nicht allein Muse seiner Bänkellieder, die den umtriebigen Bohemien mit ihrem Liebreiz, den brotlosen Dichter mit ihren Kochkünsten bestrickte, sondern ebenbürtige Gefährtin, die ohne ideologische Bindung, sondern aus eigener Lebenserfahrung ein Ziel mit ihm teilte: Eine von Gewalt und Unterdrückung befreite Menschheit.
Sie stand 1918 an Mühsams Seite, als er die Münchner Bevölkerung zur Beendigung des Weltkriegs und zur Revolution aufrief und floh nach seiner Ermordung ins sowjetische Exil, wo sie in eine 20-jährige Odyssee durch den Stalinschen Gulag geriet. Erst 1955 gestattete man der 71-jährigen Anarchistenwitwe die Rückkehr nach Ost-Berlin, wo sie allen Widerständen zum Trotz für die Veröffentlichung seiner Werke eintrat. Im Lebensweg dieser Unbeugsamen verdichtet sich auf eindrückliche Weise die Geschichte des Zwanzigsten Jahrhunderts.

Uschi Otten, Berlin, freischaffende Autorin (VS), Dramaturgin und Regisseurin, veröffentlichte die Briefe Zenzl Mühsams. Neben eigenen Inszenierungen Libretti für das Choreographische Theater Johann Kresniks. Veröffentlichungen: „Den Tagen, die kommen, gewachsen zu sein.“ Zur Lebensgeschichte Zenzl Mühsams. In: Der Bär von Berlin. Jahrbuch 2001 des Vereins für die Geschichte Berlins. Berlin/Bonn 2001; „Ich stehe seit meinem 17. Lebensjahr doch außerhalb der bürgerlichen Gesellschaft“. In: Christoph Hamann. Die Mühsams. Geschichte einer Familie. Hentrich&Hentrich, Teetz 2005


„Bekämpfen wir die Unwissenheit!" – Die Bildungspolitik der Anarchosyndikalisten (Wolfgang Haug – Vortrag)

Der Vortrag beschäftigt sich mit Aussagen zur Bildung, dem Stellenwert und der Umsetzung von Bildung in der anarchosyndikalistischen Bewegung. Den Auffassungen zur Bildung kommt als unverzichtbare Voraussetzung für die Leitidee des Anarchosyndikalismus: "Die Befreiung der Arbeiterschaft muss das Werk der Arbeiter selbst sein!" eine zentrale Bedeutung zu.

Wolfgang Haug, Studium der Geschichte, Germanistik und Anglistik in Tübingen, der Sozialwissenschaften in Oldenburg. 1978 Gründung des Trotzdem Verlags, 1980 London-Aufenthalt bei Freedom; 1980 Mitbegründung der Zeitschrift "Schwarzer Faden"; 1983 Mitbegründung des Forums für libertäre Informationen (FLI); Mitglied der Anares-Föderation anarchistischer Buchvertriebe; Mitarbeit beim Emma Goldman Papers Projekt der Univ. Berkeley; Buchveröffentlichungen zu Erich Mühsam, Franz Pfemfert, Ludwig Rubiner, Augustin Souchy, zum Angriff auf die Freiheit etc.; 2001 Überführung des Verlags in die Trotzdem-Verlagsgenossenschaft eG mit Sitz in Frankfurt/M.; 2001 Gründung der "edition wahler". Beiträge in IWK, Literatur Konkret, der Erich-Mühsam-Gesellschaft, der Graswurzelrevolution, Democracy and Nature, Green Perspectives etc.; seit 2012 Mitarbeit beim AV-Verlag. Vortragstätigkeit u.a. beim Spaniensymposium an der Universität Oldenburg, bei Tagungen der Erich-Mühsam-Gesellschaft in Malente, über Franz Pfemfert in Freiburg und Ulm, über Murray Bookchin in Frankfurt, über Kollektivierungen in der spanischen Revolution in Wien, über Augustin Souchy in Nürnberg, über den Verfall der Arbeit beim Anarchistenkongress in Venedig, über Stuttgart 21 bei der Konferenz zur Sozialen Ökologie auf Kreta etc. Heute Mitglied bei der EMG und bei Reporter ohne Grenzen.


Die Lebensreformbewegung und die Anfänge der Freikörperkultur in Deutschland.(Dr. Cornelia Regin – Vortrag)

Am Anfang der Freikörperkultur stand eine therapeutische Variante der Naturheilkunde, die das größte Segment der Lebensreformbewegung bildete. Die meisten Nackten tummelten sich in Kaiserreich und Weimarer Republik in Licht-Luft-Bädern und Kleingärten der Naturheilvereine. Diese vergleichsweise unspektakuläre Tradition ist weitgehend vergessen. Im historischen Gedächtnis festgesetzt haben sich vor allem prominente Exzentriker, die mit ihrer Nacktheit die Zeitgenossen faszinierten und provozierten. Die Entwicklung der Freikörperkultur vom Kaiserreich bis in die Weimarer Republik zeichnet der Vortrag nach und erinnert daran, dass sich auch Anarchisten für die Nacktheit begeistern konnten. Erich Mühsam zeigte sich nackt auf dem Monte Verità bei Ascona, bei den anarchistischen Jugendlichen gehörte das gemeinsame Nacktsein zum rebellischen Lebensstil.

Dr. Cornelia Regin, Hannover; Studium der Geschichte, Politik und Sozialwissenschaften in Göttingen und Berlin, 1987-1992 wiss. Mitarbeiterin an der Gesamthochschule / Universität Kassel, Veröffentlichungen u.a. über die anarchistische und anarchosyndikalistische Jugend sowie die anarchosyndikalistischen Frauen-organisation in der Weimarer Republik, promovierte mit einer Arbeit über die Naturheilbewegung im deutschen Kaiserreich, 1993-1995 Referendarin für den höheren Archivdienst, seit 1998 tätig im Stadtarchiv Hannover


Anarchosyndikalismus in Thüringen am Beispiel der Stadt Sömmerda. (PD Dr. Annegret Schüle – Vortrag mit Film-Sequenzen)

In der revolutionären Stimmung nach dem Ersten Weltkrieg gewann die anarchosyndikalistische Freie Arbeiter-Union Deutschland für kurze Zeit an politischer Bedeutung. Auch wenn ihr Schwerpunkt im Ruhrgebiet lag, hatte sie auch in Thüringen Anhänger und wurde in Sömmerda für einige Jahre sogar die dominierende Kraft in der lokalen Arbeiterbewegung. Im Vortrag wird diese außergewöhnliche Entwicklung in der Kleinstadt nördlich von Erfurt nachgezeichnet und in den Kontext der Stadtgeschichte gestellt sowie der Umgang mit dieser Geschichte in Sömmerda thematisiert.

Dr. Annegret Schüle, promovierte an der Universität Jena über weibliche Arbeitserfahrungen in einem Textilbetrieb der DDR und habilitierte an der Universität Erfurt mit der Monografie "Industrie und Holocaust. Topf & Söhne - Die Ofenbauer von Auschwitz". Sie ist Autorin einer Werksgeschichte über das Büromaschinen-werk Sömmerda. Seit 2011 leitet sie den von ihr konzipierten Erinnerungsort Topf & Söhne - Die Ofenbauer von Auschwitz, ein Geschichtsmuseum der Landeshauptstadt Erfurt.


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